Hetzartikel gegen die Bösingfelder Juden im lippischen NS-Organ, 1930

Wenn sie schraiten Sait’ an Saite !

Ja, aber wer denn? Nun, sie können es sich denken, das, wenn man ai schreibt, immer eine ganz besonders beliebte Gattung Menschengeschlechts damit gemeint ist. Wobei ich gleich bemerken möchte, dieses ai – Feldgeschrei nicht mit ia zu verwechseln.

Denn das letztere ist das Geschrei, des uns bis in die tiefsten Gründe seiner Seele bekannten Esels. Und das werden sie mir alle eingestehen müssen, dass zwischen dem Esel und dieser, nun, wie sagt man nur, äh, etwas undefinierbaren Rassemenschen ein ziemlich großer Unterschied besteht. Und zwar vorzugsweise in der für uns Gewöhnlichsterblichen noch halt fast unergründeten Seele der letzteren. Und so kommt es auch, dass wir als ganz gewöhnliche Mitteleuropäer mitunter von der Anwesenheit einiger Vertreter dieser sonderbaren ai-Rassemenschen nicht gerade allzu begeistert sind. So ist es auch in Klein- Palästina. Kennen Sie es? Nein? Nun, dann lernen Sie es kennen. Ein schöner Ort im lippischen Norden. Neulich sah man sie einmal zu einer Zusammenkunft eilen. Das heißt, nicht dass sie etwa nun beratschlagen wollten, wie sie sich zur Auflösung des Gemeinde-Parlaments stellen wollten; nein, sie wollten Stellung dazu nehmen, ob der „Lippische Kurier“ sich auch rentieren würde. Nun weiß man nicht, was dort beschlossen wurde, sondern man sah vorerst nur eine große Masse von einzelnen Gliedmaßen in der Luft herumfuchteln, die sich bei näherem anschauen dann als Hände entpuppten. Darum war es mir auch klar, warum dort ein ganz fürchterlicher Krach im Gange war; wenn man zwei Organe dazu braucht, sich verständlich machen zu können, nun dann – Und dabei waren erst die wenigsten aller dieser wackeren, sonderbaren Luftverkehrspolizisten auf dem Versammlungsort. War doch eben erst die große Namens-Familie Kleeberg eingetroffen. Da waren der Albert, der David mit Frau und Kind, der Julius mit 3 jungen Mädchen und der Moses mit Frau und zwei Töchtern. Aber das war schon ein Gesaires. Oh Gott, oh Gott jetzt kommt Herr Katz, seines Zeichens Rabbiner. „Aih, guten Tag! Nun Moses, deine Großmutter nicht mitgebracht? Wie gehts denn, was? Ach höre, der Schleyer auch schon da? Ja, ja, ist sehr schön von Ihnen.“ „Aber ich bitte, diese Nazis werden wir schon kriegen. Tag, Frau Schleyer, alle 4 Kinder mitgebracht?“ Jetzt kommt die Witwe Jonas Herzberg und Hermann Herzberg nebst Frau. Diese beiden Herzberg-Familien sind eigentlich unzertrennlich, verstehen sich zu gut. Nun fehlt nur noch der Moritz, der Herr Frankenstein, mit Frau und 2 Kindern. Gott, nain, was mache mer doch firn scheenen großen Haufen. Da kommt er schon. Nun sind wir doch alle da. „Ja, ja“, stöhnt Herr Schleyer, „dieser Kurier, er macht uns das Leben hier zur Hölle. Gott wie haißt, werden wir ihn doch nicht abbonieren, ist er auch nicht die Hölle, was kann denn dieses klaine Blättchen schon für unsern Laib sein. Ain Schaden, nain.“ Da plötzlich ertönt aus der einen Ecke der Ruf eines eifrigen Lesers und Werbers des „Lippischen Kuriers“ : „Seid man nur ruhig, wir haben auch hier schon verschiedene hundert Leser.“ Gottesdunner nä, verschlägt das die Sprache. Alle Hände bleiben unbeweglich in der Luft. Bis dann plötzlich der Bann gebrochen wurde, indem sich aus der Ecke ein qualvolles Stöhnen aus dem gerade nicht allzu kleinen Munde eines nicht gerade dürren Herrn erhob. „Oh je, wann müssen wir denn nun aigentlich nach Palästina?“ Das war die Angst. Nun, wir können diese Leuchten beruhigen; sie wohnen schon in Klein-Palästina, wie dieses schöne Örtchen genannt wird; denn auf noch nicht 2000 Einwohner beinahe 30 Juden ist etwas reichlich, wo wir doch sonst von den 1% Juden in Deutschland so wie so schon die Nase voll haben. Stimmt’s, oder stimmt’s nicht?

Quelle: Lippischer Kurier vom 23.10.1930